Helvetik im Appenzellerland |
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Helvetik im Appenzellerland - Umsturz und Neubegin
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(Artikel aus dem Appenzeller Kalender 1998, Autor: Peter Witschi, Staatsarchivar AR) |
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Einleitung
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In der Schweizer Geschichte markiert das Jahr 1798 den Untergang der traditionellen Alten Eidgenossenschaft und zugleich den Beginn des kurzlebigen helvetischen Einheitsstaates unter französischer Vorherrschaft. Das Appenzellerland spielte dabei nicht bloss eine passive Rolle, die appenzellische Bevölkerung nahm aktiv am Geschehen teil. Die Beteiligten zogen indessen nicht gemeinsam am politischen Strick. Das Geschehen im Grossen wie im Kleinen glich vielmehr einem Seilziehen zwischen revolutionären und konservativen Kräften. Zeitweilig gewann die eine Seite Oberhand, dann wieder triumphierte die andere Seite. |
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Johann Ulrich Wetter von Herisau 1798 Landammann der provisorischen Regierung. Die Jakobinermütze weist ihn als Anhänger der Franzosenpartei aus. (Hist. Museum Herisau) |
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Von Reformansätzen zur Revolution
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in beiden Halbkantonen machte sich bereits 1797 etwelche Unruhe bemerkbar. Im Innerrhodischen sorgte Josef Anton Sutters aufklärerische Schrift „Bestgemeinter Unterricht an alle Demokraten“ für Aufregung, im Ausserrhodischen leiteten Reformkreise eine Revision der im Landbuch vereinigten Rechtsgrundlagen ein. In Appenzell I.Rh. behielt die Obrigkeit das Ruder bis zuletzt fest in der Hand. Noch am 19. April. 1798, als bereits der grösste Teil der Eidgenossenschaft durch französische Truppen besetzt war, lehnte die Appenzeller Landsgemeinde die aufgezwungene Verfassung ab. Demgegenüber war Appenzell A.Rh. spätestens seit Neujahr 1798 in zwei unversöhnliche Lager gespalten. Während das Land vor der Sitter unter Führung der Trogener Kaufmannsfamilie Zellweger an der alten Ordnung festhalten wollte, entwickelte sich in Herisau und Umgebung eine ungestüme Volksbewegung, die bereits Mitte April 1798 das Geschehen im Land hinter der Sitter weitgehend bestimmte. Ihr führender Kopf war der in Frankreich ausgebildete Kaufmann und Militärhauptmann Johann Ulrich Wetter (1741‑ 1806), weshalb im Volksmund die Reformer nur die „Wetterischen“ hiessen. Am 1. April führten in Herisau Neuwahlen zum Machtwechsel. Am 11. April kam es zum Überfall auf das widerstrebende Hundwil, wobei drei Männer getötet wurden. Am 19. April hiess die in Herisau abgehaltene Volksversammlung die neue Verfassung gut. Am 22. April erfolgten die Wahlen für die helvetischen Behörden, gleichentags wurde auf dem Kirchplatz in Herisau ein Freiheitsbaum aufgerichtet. Nachfolgend gaben die Anhänger der alten Ordnung unter dem Druck der Besatzungsmacht ihre Positionen kampflos preis. Am 6. Mai hiess die Landsgemeinde in Appenzell die Konstitution gut, einen Tag später gab die Kirchhöre Trogen widerwillig ihre Zustimmung. Ungeachtet vereinzelter Proteste wurden spätestens bis Herbst 1798 allenorts neue Führungsgremien etabliert. Dabei galt es, traditionsreiche Einrichtungen aufzuheben und alte Zöpfe abzuschneiden. Im Ausserrhodischen wurde erst jetzt die alte Zeitrechnung nach dem Julianischen Kalender hinfällig. An die Stelle der Landsgemeinden, Kirchhören und Rhodsgemeinden traten Wahlmännerversammlungen. Eine zukunftsweisende Neuerung im Sinne der Gewaltenteilung bildete die Einführung eigenständiger Gerichtsbehörden auf Districts‑ und Kantonsebene. Militärtruppen und politische Amtsträger erhielten neue Insignien, die sich vereinzelt in Archiven und Museen bis heute erhalten haben. Die angestammten Wappen mussten in der Versenkung verschwinden, doch wie nachfolgende Anekdote zeigt, wohl nicht überall: Als französische Soldaten das Ausserrhodische Wappen an einem Gebäude beanstandeten, erhielten sie die gewitzte Erklärung, das VR bedeute „Vive République“. |
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Regierungs-Etat Titelseite zum im Regierungs-Etat im „Wochenblatt für den Kanton Stäntis“, 28. Juli 1798. (Staatsarchiv Appenzell A.Rh.) |
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Als Teil des Kantons Säntis
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Entwicklungen und Entscheidungen auf höherer Ebene führten dazu, dass die neugeschaffene „Helvetische Republik“ als zentralistischer Einheitsstaat ausgestaltet wurde. Die nationale Exekutivgewalt übertrug man einem Direktorium mit beigeordnetem Ministerrat. Als gesetzgebende Körperschaften fungierten Grosser Rat und Senat, deren Mitglieder durch kantonale Wahlmännerversammlungen bestimmt wurden. Nach dem Vorbild des französischen Departementalsystems standen den helvetischen Kantonen sogenannte Regierungsstatthalter vor, die wiederum für jeden District einen Unterstatthalter ernennen mussten. Im Zuge der administrativen Neugestaltung verschwand das dem neugebildeten Kanton Säntis zugeteilte Appenzellerland von der politischen Landkarte. Der Kanton Säntis umfasste überdies die Region St.Gallen, das Fürstenland, das Rheintal und das untere Toggenburg. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, dass der höchste französische Regierungskommissär anfänglich Appenzell zum Kantonshauptort bestimmt hat. Diese Wahl blieb indessen nicht unbestritten. Viele Politiker votierten aus praktischen Erwägungen für die Stadt St.Gallen, die schlussendlich das Rennen machen sollte. Herisau votierte, es habe wegen seiner demokratischen Vergangenheit diese Ehre mehr verdient als das aristokratische St. Gallen. Der Innerrhoder Abgeordnete Johann Baptist Graf wiederum pries seinen Wohnort als Hort republikanischer Einfachheit. |
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Gefangene Die Anführer der Schwyzer Tagsatzung als Napoleons Gefangene auf Schloss Aarburg, links: Jacob Zellweger von Trogen, 1802. (Kantonsbibliothek Trogen) |
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Das Ende der Helvetik
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Im Frühjahr 1799 kam die mit viel Enthusiasmus begonnene Aufbauarbeit am helvetischen Staat zum Erliegen. Die französischen und österreich‑russischen Heere machten die Schweiz zum Kriegsschauplatz. Das Appenzellerland stand dabei nicht im Brennpunkt, doch blieb es weder von kriegerischen Auseinandersetzungen noch von entsprechenden Folgekosten verschont. Immer neue Einquartierungen, Requisitionen, Zwangsaushebungen, Militärdurchzüge und Steuerlasten sorgten für ein gereiztes politisches Klima und eine spürbare Verschlechterung der Lebensverhältnisse. Viele sahen sich zur Auswanderung gezwungen. |
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Briefkopf für Korrespondenz des Herisauer Unterstatthalters mit Telldarstellung und Losungsworten Freyheit - Gleichheit, 1800. (Staatsarchiv Appenzell A.Rh.) |
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Leistungen und Nachwirkungen
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Nicht bloss aus gesamtschweizerischer, auch aus appenzellischer Perspektive zeigt sich die Helvetik als Januskopf mit zwei Gesichtern, markiert sie doch zugleich Ende und Neubeginn. Einerseit steht sie für Untergang und Destruction, anderseits für Umgestaltung und Fortschritt. Nachhaltige Impulse erfuhren insbesondere das Schul‑ und das Sanitätswesen. In der Helvetik wurde der Grundstein für Ausserrhodens Vorreiterrolle im Volksschulwesen gelegt. In der in Burgdorf eingerichteten Lehranstalt erhielten mehrere appenzellische Jünglinge durch Johann Heinrich Pestalozzi eine pädagogische Grundausbildung. Bereits im Frühjahr 1802 führte Pfarrer Johann Rudolf Steinmüller (1773‑1835) in Gais einen ostschweizerischen Lehrerbildungskurs durch. Mit etlichen Anklängen an die helvetische Schulgesetzgebung wurde 1805 in Appenzell A.Rh. eine erste kantonale Schulordnung erlassen. Basierend auf den Erfahrungen des revolutionären Sanitätsrates wurden im wiedererstandenen Kanton Appenzell A.Rh. eine Reihe von Neuerungen eingeführt. 1804 kamen die ersten Hebammenlehrkurse zustande, 1810 wurde die kantonale Sanitätskommission gegründet. |
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