Quellenbeispiele

Im Folgenden finden Sie drei Beispiele für die Quelleninterpretation:

Q1 Absolutismus
Q2 Helvetik
Q3 Schweiz im Zweiten Weltkrieg

Die Musterlösung versteht sich als Beispiel, nicht als einzig richtige Lösung.



Q1 Absolutismus

"Die königliche Gewalt ist erstens heilig, zweitens väterlich, drittens unumschränkt. Die Fürsten handeln als Diener Gottes und als dessen Stellvertreter auf Erden. Durch sie übt er seine Herrschaft aus. Wir sehen also, dass der königliche Thron nicht der Thron eines Menschen, sondern der Thron Gottes selbst ist.
Die Könige sollen ihre Macht in Ehrfurcht ausüben und ausschliesslich zum Wohle der Allgemeinheit anwenden."

(Jacques-Bénigne Bossuet*, "Politique", um 1670)

* frz. Theologe und Kirchenpolitiker, war eine Weile lang Bischof, dann Erzieher des Thronfolgers



Die Musterlösung versteht sich als Beispiel, nicht als einzig richtige Lösung.

1) Autor
Erzieher des Thronfolgers --> muss die Herrschaft des Königs rechtfertigen helfen. Seine Stellung hängt direkt von jener des Königs ab. Hat engen Kontakt zum Königshaus.

2) Zusammenhang
Frankreich um 1670, kurze Zeit nachdem Louis XIV. an die Macht kam.

3) Quellenart
Ein Buch über die [richtige] Politik.

4) Zielpublikum
An Politik interessierte Kreise. V. a. an Adlige, die früher mehr Macht hatten. Ihnen gegenüber möchte er die Macht des Königs rechtfertigen.

5) Inhalt
Bossuet rechtfertigt die unumschränkte Herrschaft des Königs durch den Umstand, dass dieser seinen Auftrag direkt von Gott erhalten hat. Er beschreibt ausserdem, wie die Könige herrschen sollen.

6) Wortwahl, Sprache
"heilig" --> Durch Gott gegebene Macht, ist unantastbar.
"väterlich" --> König soll 'gütig' regieren wie ein Vater. Er soll für sein Volk sorgen.
"unumschränkt" --> Begründet hier die Theorie von der absoluten Macht des Königs.
"Diener Gottes und dessen Stellvertreter" --> König soll die ganze Macht auf Erden ausüben, jedoch immer noch unter Gott stehen.
"Thron Gottes" --> Erhöhung der Position des Königs.
"in Ehrfurcht ... und zum Wohle der Allgemeinheit" --> König soll gerecht regieren [vor Gott und für alle Menschen].

7) Synthese
Bossuet setzt die Religion und die Ehrfurcht der Menschen vor Gott gezielt ein, um die Position des Königs zu stärken. Doch auch der König soll erkennen, dass er nicht einfach völlig ungebunden und selbstsüchtig regieren kann.



Q2 Helvetik

"Tumultuarischer als irgendwo vorher ging es in Maur zu. Der Pfarrer Salomon Hirzel rief: 'Nicht wahr, ihr meine lieben Gemeindegenossen von Maur, ihr seid zufrieden mit eurer Obrigkeit, und nur die Stäfner, die Rebellen, sind die Unzufriedenen?' Sogleich erscholl es wütend: 'Was geht das dich an? Was hast du hier zu reden? Dickkopf, Schmerbauch, Vergebensfresser! Weg mit dem Pfaffen!'"

(Bericht über die Klagen und Forderungen der Landbevölkerung, Kommission der Zürcher Regierung, Februar 1798)



Die Musterlösung versteht sich als Beispiel, nicht als einzig richtige Lösung.

1) Autor
Die Kommission arbeitet im Namen der Stadt-Zürcher Regierung, die Maur und den Rest der Landschaft beherrscht. Auch der Pfarrer repräsentiert diese Herrschaft.

2) Zusammenhang
Im Februar 1798 haben die französischen Truppen bereits ihren Siegesmarsch durch die Schweiz begonnen. Sie wollen die Macht der herrschenden Orte brechen.

3) Quellenart
Offizieller Bericht. Die Regierung will von der Kommission offen informiert werden.

4) Zielpublikum
Der Stadt-Zürcher Rat. Der Bericht soll ihm als Handlungsgrundlage dienen.

5) Inhalt
Der Pfarrer von Maur fragt die Bewohner nach ihrem Wohlbefinden. Er möchte von ihnen erfahren, dass sie mit der Obrigkeit zufrieden sind. Die Bevölkerung beschimpft ihn jedoch aufs Übelste.

6) Wortwahl
"Tumultuarischer als irgendwo vorher" --> Die volle Unzufriedenheit über die lange Zeit der Unterdrückung bricht in Maur aus.
'Nicht wahr, ihr meine lieben Gemeindegenossen" --> Pfarrer Hirzel möchte sich bei den Bewohnern einschmeicheln.
"ihr seid zufrieden mit eurer Obrigkeit" --> Sehr suggestive Frage. Er möchte nur positive Signale erhalten, um vor dem Zürcher Rat gut da zu stehen.
"die Stäfner, die Rebellen" --> Möchte die Bewohner Stäfas als schlechtes Vorbild verdammen.
"Was geht das dich an? Was hast du hier zu reden?" --> Sie haben die städtische Obrigkeit bereits verstossen. Der Pfarrer gilt nichts mehr.
"Dickkopf" --> Früher war die Herrschaft unnachgiebig.
"Schmerbauch, Vergebensfresser!" --> Sie werfen dem Pfarrer vor, dass sie ihn früher ernähren mussten.

7) Synthese
Die Zürcher Obrigkeit möchte sich angesichts des Vormarschs der Franzosen der Treue seiner Untertanen versichern. Der Pfarrer soll als Abgesandter die Stimmung auf der Landschaft ausloten. Doch die Bevölkerung ist nicht mehr willens, ihm zu zu hören. Sie beschimpft ihn und rächt sich so für die lange Zeit der Rechtlosigkeit.



Q3 Zweiter Weltkrieg

"Wer ein schon stark besetztes kleines Rettungsboot mit beschränktem Fassungsvermögen und ebenso beschränkten Vorräten zu kommandieren hat, indessen Tausende von Opfern einer Schiffskatastrophe nach Rettung schreien, muss hart scheinen, wenn er nicht alle aufnehmen kann. Und doch ist er noch menschlich, wenn er beizeiten vor falschen Hoffnungen warnt und wenigstens die schon Aufgenommenen zu retten sucht... Wenn nun der Kommandant dieses Rettungsbootes auslesen muss, wen er aufnehmen soll und für wen er die noch freien Plätze und die noch freien Vorräte verwenden will, während er Tausenden und Tausenden helfen sollte und helfen möchte, kommt die grosse Gewissensqual der Auslese."

(Bundesrat Eduard von Steiger, Bauern- und Gewerbe-Partei, BE, Vortrag in Zürich, 30. August 1942)



Die Musterlösung versteht sich als Beispiel, nicht als einzig richtige Lösung.

1) Autor
Als Bundesrat ist von Steiger für die Schweizer Politik mit verantwortlich. Als Vertreter der BGB gehört er einer Rechts-Partei an, die strikt an der Neutralität festhalten will. Von Steiger gilt als Hardliner in der Flüchtlingsfrage.

2) Zusammenhang
Mitten im Zweiten Weltkrieg, auf dem Höhepunkt der Macht des nationalsozialistischen Deutschlands, die Schweiz von den Achsenmächten eingeschlossen.

3) Quellenart
Es handelt sich um einen Vortrag. Von Steiger rechtfertig damit öffentlich seine und die Haltung des Bundesrates zur Flüchtlingspolitik. Er möchte die Zuhörer von seinem Standpunkt überzeugen.

4) Zielpublikum
Hier nicht bekannt. Wahrscheinlich ein öffentlicher Anlass, an dem v. a. Prominente aus der Politik anwesend sind.

5) Inhalt
Von Steiger vergleicht die Lage der Schweiz mit der eines Rettungsboots, dessen Kapitän nicht alle Hilfesuchenden aufnehmen kann, weil er sonst den Untergang des Boots mit allen an Bord in Kauf nehmen müsste.

6) Wortwahl
"stark besetztes kleines Rettungsboot" --> Die Schweiz ist klein und bereits dicht besiedelt. Sie muss im Krieg schon viele Leute ernähren.
"beschränktem Fassungsvermögen und ebenso beschränkten Vorräten" --> Die Versorgungslage der Schweiz wird hier als kritisch geschildert.
"Tausende von Opfern einer Schiffskatastrophe" --> Die Verfolgung von Juden und anderen wird hier verharmlosend als Unglück geschildert.
"muss hart scheinen" --> Der Anschein der Härte ist gemäss von Steiger falsch.
" doch ist er noch menschlich" --> Gegenrede, weshalb die Schweiz nicht hart ist.
"Tausenden und Tausenden" --> Zahl der Zuflucht Suchenden wird dadurch als sehr gross geschildert.
"Gewissensqual" --> Unterstreicht die menschliche Haltung der Verantwortlichen.

7) Synthese
Von Steiger versucht in seinem Vortrag die harte Haltung der Schweiz gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen zu rechtfertigen. Rhetorisch geschickt benutzt er dabei den Vergleich mit dem Rettungsboot. Allen Zuschauern leuchtet ein, dass ein solches Boot keine unumschränkte Kapazität hat. Damit lenkt er von der viel schwierigeren Frage ab, wie viele Flüchtlinge das Land Schweiz aufnehmen könnte.



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